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PSYCHE UND KÖRPER

Was ist Orthorexie?

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Eine Psychotherapeutin erklärt, was passiert, wenn gesundes Essen zum Zwang wird.

Gesunde Ernährung ist unverzichtbar für ein langes Leben und unser Wohlbefinden. Wenn gesunde Ernährung jedoch zwanghaft wird, kann sie zu einer Störung führen, die als Orthorexie bezeichnet wird. Psychologin und Psychotherapeutin Madeleine Gauffin erklärt die Anzeichen und verrät, wo Betroffene Hilfe bekommen.

3 schnelle Fakten über Orthorexie

  • Eine Fixierung auf Ernährungsvorschriften und übermäßiges Training können zugrunde liegende Ängste verschleiern.
  • Menschen mit Orthorexie isolieren sich oft zunehmend.
  • Therapien wie die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) können helfen.

Eine gesunde Lebensweise tut gut. Gerade in Zeiten, die von viel Stress und Unsicherheit geprägt sind, ist es ganz natürlich, das zu kontrollieren, was noch kontrollierbar ist – beispielsweise Ernährung und Fitnesslevel. Es kann jedoch passieren, dass du dich so stark auf deine Ernährung und dein Training fixierst, dass andere Bereiche deines Lebens darunter leiden, beispielsweise deine Beziehungen und das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung.

Was versteht man unter Orthorexie?

Orthorexia nervosa wurde erstmals 1997 als „übertriebene Beschäftigung mit einer gesunden Ernährung“ definiert. Der Begriff Orthorexie stammt vom griechischen orthos (richtig) und orexie (Appetit oder Ernährung).

„Orthorexia nervosa ist eine Störung, bei der man von gesunder Ernährung besessen und geradezu darauf fixiert ist“, erklärt Psychologin und Psychotherapeutin Madeleine Gauffin. „Obwohl sie sich mit anderen Essstörungen überschneidet, wird sie im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) noch nicht als eigenständige Essstörung anerkannt. Doch in der wissenschaftlichen Literatur findet sie zunehmend Beachtung,“ so Gauffin.

Wie unterscheidet sich Orthorexie von anderen Essstörungen?

„Der Grat zwischen Essstörungen wie Anorexie und Orthorexie ist schmal“, so Gauffin. „Die Ziele mögen unterschiedlich sein, aber die Einstellung ist ähnlich – es gibt einen Zwang rund um das Thema Ernährung, der einfach nicht gesund ist.“

Bei Anorexia nervosa und Bulimie kreisen die Gedanken meist um den Gewichtsverlust. Von Orthorexie Betroffene konzentrieren sich dagegen auf die Qualität der Lebensmittel – obwohl anzunehmen ist, dass das Gewicht dabei ebenfalls eine Rolle spielt.

Das führt oft zu ritualisierten Essgewohnheiten – zum Beispiel, indem Betroffene übermäßig viel Zeit damit verbringen, über Lebensmittel nachzudenken, sie zu beschaffen und zuzubereiten. Außerdem streichen sie Lebensmittel, die sie für ungesund oder unrein halten, rigoros vom Speiseplan.

Viele von Orthorexie Betroffene entwickeln außerdem eine regelrechte Bewegungssucht. Dann spielt das zwanghafte Training eine ebenso wichtige Rolle wie die streng kontrollierte Ernährung. In einer kürzlich erschienenen Untersuchung wurde festgestellt, dass häufig ein Zusammenhang zwischen Orthorexie und Bewegungssucht besteht.

„Für die meisten Menschen, die sich gesund ernähren oder regelmäßig Sport treiben, ist es in Ordnung, gelegentlich ein Stück Kuchen zu essen, ein Glas Wein zu trinken oder mal ein Training ausfallen zu lassen“, erklärt Gauffin. „Menschen mit Orthorexie bekommen jedoch bei jeder Unterbrechung ihres gewohnten Ablaufs Angst. Sie sind besessen davon, bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen, beispielsweise im Rahmen einer veganen oder glutenfreien Ernährung, und andere Lebensmittel wie z. B. raffinierten Zucker zu vermeiden.“

Mögliche Anzeichen für Orthorexie

Orthorexie ist oft schwer zu erkennen – sowohl bei anderen als auch bei sich selbst. Orthorektisches Verhalten kann leicht unter dem Deckmantel eines gesunden Lebensstils gerechtfertigt werden. Der generelle Verzicht auf ganze Lebensmittelgruppen, ohne dass eine Ärztin oder ein Arzt dazu geraten hat, kann ein typisches Anzeichen sein.

Wenn du eine der folgenden Fragen mit Ja beantwortest, könntest du von Orthorexie betroffen sein:

  1. Verbringst du so viel Zeit damit, über gesunde Lebensmittel nachzudenken, diese auszuwählen und zuzubereiten, dass andere Lebensbereiche wie Familie, Beziehungen, Hobbys oder die Arbeit darunter leiden?
  2. Fühlst du dich ängstlich, schuldig, beschämt, unrein oder unsauber, nachdem du Lebensmittel zu dir genommen hast, die als ungesund gelten?
  3. Verurteilst du andere Menschen, die Lebensmittel zu sich nehmen, die als ungesund gelten?
  4. Ist deine persönliche Zufriedenheit in hohem Maße davon abhängig, welche Lebensmittel du zu dir nimmst und wie du dein Training gestaltest?
  5. Bist du auch bei besonderen Anlässen nicht in der Lage, dich zu entspannen, wenn es ums Essen geht?
  6. Streichst du immer mehr Lebensmittel von deinem Speiseplan und stellst dabei eine immer strengere Liste von Ernährungs- und Bewegungsregeln auf?
  7. Lebst du nach einem Ernährungsplan, der mehr Gewichtsverlust verursacht hat, als gut für dich ist, oder zu anderen Anzeichen von Mangelernährung wie Haarausfall, Ausbleiben der Menstruation oder Hautproblemen geführt hat?

Bin ich gefährdet, an Orthorexie zu erkranken?

„Menschen, die man als leistungsorientiert, äußerst ehrgeizig, perfektionistisch und diszipliniert beschreiben würde, sind am meisten gefährdet“, sagt Gauffin. „Nach außen hin wirken sie kompetent und scheinen stets die Kontrolle zu behalten, tief im Inneren haben sie aber häufig das Gefühl, nicht gut genug zu sein.“

Von Orthorexie Betroffene glauben, dass sie nur geliebt werden können, wenn sie perfekt sind. Und Perfektion bedeutet für sie, gesund zu sein und gesund auszusehen, so Gauffin. „Das hängt häufig mit der Kindheit zusammen, als von ihnen erwartet wurde, gut in der Schule und beim Sport zu sein und später den richtigen Job zu finden. Dabei wurde ihnen die unterschwellige Botschaft vermittelt, dass man erfolgreich sein muss, um geliebt zu werden.“

„Einschneidende Ereignisse wie ein Trauerfall oder eine Scheidung können ebenfalls Orthorexie auslösen. Dabei nutzen Menschen den Fokus auf eine gesunde Lebensweise als Strategie, um emotionalen Schmerz zu bewältigen – bis zu dem Punkt, an dem dieser Fokus zur Besessenheit wird“, erklärt Gauffin.

Ist es wirklich so schädlich, besessen von gesunder Ernährung zu sein?

„Einerseits kann der Zwang zu Folgeerscheinungen wie Mangelernährung und damit verbundenen gesundheitlichen Problemen führen“, so Gauffin.

Außerdem kann Orthorexie auch psychische Probleme verschleiern – und manchmal sogar verschlimmern. „Menschen, die eine Orthorexie entwickeln, sind oft besonders ängstliche Persönlichkeiten, die durch die übertriebene Beschäftigung mit Ernährung und Training versuchen, Ängste zu verdrängen. Das orthorektische Verhalten hilft ihnen dabei, die Kontrolle über ihre Gefühle zu behalten.“

Aus solchen psychischen Problemen entwickelt sich häufig ein Teufelskreis, erklärt Gauffin. „Je mehr Zeit jemand damit verbringt, obsessiv an Ernährungs- und Trainingsregeln festzuhalten, desto mehr zieht er sich in seine eigene Welt zurück – und desto weniger Zeit verbringt er mit zwischenmenschlichen Kontakten und anderen Aktivitäten.“

„Dies kann dazu führen, dass Betroffene sich einsam fühlen und immer mehr den Kontakt zu ihren Angehörigen und Freunden verlieren. Nach einer Weile fällt es ihnen immer schwerer, aus ihrer Isolation herauszutreten, und das verstärkt ihre Angst weiter.“

Wo können Menschen mit Orthorexie Hilfe bekommen?

Die Orthorexie kommt oft nur bei Gesprächen über ganz andere Probleme zum Vorschein. „Die meisten Menschen, die Hilfe suchen, tun dies normalerweise aus einem anderen Grund wie Angst, Depression, Schlafstörungen oder einer Trennung“, so Gauffin. Menschen mit dieser Störung haben oft das Gespür dafür verloren, wie viel sie im Leben versäumen.

Falls du glaubst, dass du an Orthorexie erkrankt bist, kann die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hilfreich sein, um die Gedanken und Verhaltensweisen zu ändern, die zu deiner Fixierung auf Essen und Training führen.

Unsere Ärztinnen und Ärzte können dir helfen, herauszufinden, ob du aufgrund von Orthorexie oder einer anderen Essstörung Hilfe brauchst.

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